Kammergericht Berlin: Nutzer müssen Plattform-Meldeverfahren nach DSA nicht zwingend nutzen
24. September 2025
Mit Beschluss vom 25. August 2025 (Az. 10 W 70/25) hat das Kammergericht Berlin (KG) eine wichtige Entscheidung zur praktischen Anwendung des Digital Services Act (DSA) gefällt. Es stellte klar: Nutzer sind nicht verpflichtet, das von der Plattform bereitgestellte elektronische Meldeverfahren nach Art. 16 Abs. 1 DSA zu nutzen, um wirksam auf rechtswidrige Inhalte hinzuweisen oder gerichtlichen Schutz zu erlangen.
Damit stärkt das KG die Position von Nutzerinnen und Nutzern digitaler Dienste – etwa sozialer Netzwerke oder Hosting-Plattformen – gegenüber Plattformbetreibern. Zugleich betont die Entscheidung, dass nicht der Übermittlungsweg, sondern die inhaltliche Qualität der Meldung entscheidend ist.
Rechtlicher Hintergrund: Was verlangt der DSA?
Der Digital Services Act (DSA) ist seit Februar 2024 in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Ziel ist es, eine einheitliche Regulierung digitaler Dienste zu schaffen, insbesondere zur Bekämpfung rechtswidriger Inhalte im Internet und zum Schutz von Nutzerrechten.
Art. 16 Abs. 1 DSA verpflichtet Hostingdienste – einschließlich sehr großer Plattformen wie Facebook, X (ehemals Twitter), YouTube oder TikTok – dazu, ein elektronisches Meldeverfahren für rechtswidrige Inhalte bereitzustellen. Darüber sollen Nutzer Inhalte anzeigen können, die gegen Gesetze verstoßen, etwa wegen Beleidigung, Urheberrechtsverletzung oder Hetze.
Art. 16 Abs. 3 DSA regelt zusätzlich: Wird dieses Formularverfahren genutzt und enthält die Meldung ausreichend Informationen, dann wird gesetzlich vermutet, dass die Plattform Kenntnis vom rechtswidrigen Inhalt erlangt hat – eine entscheidende Voraussetzung für die rechtliche Haftung der Plattform.
Der Fall: Alternativer Hinweisweg reicht aus
Im konkreten Fall hatte ein Nutzer eine Plattform nicht über das elektronische DSA-Formular, sondern auf anderem Weg – mutmaßlich durch ein anwaltliches Schreiben – auf einen rechtsverletzenden Inhalt hingewiesen. Die Plattform ignorierte das Schreiben mit Verweis darauf, dass das gesetzlich vorgesehene Meldeformular nicht genutzt worden sei. Das Landgericht wies die Klage des Nutzers mit dieser Begründung zurück.
Das Kammergericht hob diese Entscheidung nun auf. Es stellte klar: Nutzer im Sinne von Art. 3 lit. b DSA – also jede Person, die digitale Dienste nutzt – müssen nicht zwingend das interne Beschwerdeformular der Plattform verwenden. Auch alternative Kommunikationswege können dazu führen, dass die Plattform wirksam in Kenntnis gesetzt wird – sofern die Meldung hinreichend präzise und begründet ist.
Kein Vorrang des Formulars – aber höhere Beweissicherheit
Wichtig ist: Die Entscheidung bedeutet nicht, dass Plattformen auf jede vage E-Mail oder pauschale Kritik reagieren müssen. Auch außerhalb des Formularverfahrens muss der Hinweis klar erkennen lassen, um welchen Inhalt es geht, worin der Rechtsverstoß liegt und welche Person betroffen ist.
Nutzen Betroffene hingegen das Formular gemäß Art. 16 DSA, gilt die gesetzliche Vermutung der Kenntnis – ein haftungsrechtlicher Vorteil bei späteren Auseinandersetzungen. Wer einen anderen Weg wählt, trägt das Risiko, im Streitfall die tatsächliche Kenntnis der Plattform beweisen zu müssen.
Häufiges Missverständnis: Meldepflicht vor Klage?
Ein weit verbreitetes Missverständnis – gerade bei Betroffenen von Inhaltslöschungen, Sperrungen oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen – besteht darin, dass ein gerichtliches Vorgehen nur nach Nutzung des Formulars möglich sei. Das KG widerspricht dem ausdrücklich: Das Meldeverfahren ist ein optionales Angebot der Plattform, kein Zulässigkeitserfordernis für gerichtliche Geltendmachung von Rechten.
Auch Plattformen selbst berufen sich regelmäßig auf die angeblich ausschließliche Nutzungspflicht des elektronischen Meldewegs – etwa, um Beschwerden oder außergerichtliche Schreiben abzuwehren. Diese Praxis ist nach Auffassung des KG unzulässig, wenn die inhaltliche Substanz der Meldung ausreicht.
Die Entscheidung des KG gibt Betroffenen mehr Spielraum: Sie können auch über anwaltliche Schreiben, E-Mail oder andere Kommunikationswege ihre Rechte geltend machen – und sind dabei nicht an die Struktur der Plattform gebunden. Dennoch empfehlen wir in vielen Fällen zusätzlich die parallele Nutzung des Formulars, um die gesetzliche Vermutungswirkung nach Art. 16 Abs. 3 DSA zu sichern.
Fazit: Nutzerrechte gestärkt – Plattformen gefordert
Mit seinem Beschluss vom 25.08.2025 stärkt das Kammergericht Berlin die Durchsetzungskraft von Betroffenen im digitalen Raum. Das Meldeverfahren nach Art. 16 DSA ist kein Zwangsweg, sondern eine von mehreren Möglichkeiten, um Plattformen auf rechtswidrige Inhalte aufmerksam zu machen. Entscheidend bleibt die inhaltliche Qualität des Hinweises.
Für Plattformbetreiber bedeutet das: Sie müssen eingehende Beschwerden sorgfältig prüfen – auch wenn diese nicht über das offizielle Formular eingehen. Für Nutzer wiederum gilt: Ihre Rechte bestehen unabhängig davon, wie sie geltend gemacht werden – entscheidend ist, dass sie substanzhaltig und nachvollziehbar vorgebracht werden.
Sie möchten gegen eine rechtswidrige Löschung, Sperrung oder einen beleidigenden Beitrag auf einer Plattform vorgehen – und wissen nicht, ob der DSA greift? Oder planen, ein Meldeverfahren rechtssicher durchzuführen?
Sprechen Sie uns an. Als digital spezialisierte Datenschutzkanzlei unterstützen wir Sie bei der effektiven Durchsetzung Ihrer Rechte gegenüber Plattformen – schnell, rechtssicher und mit Blick auf Ihre digitalen Interessen. Jetzt Termin zur Erstberatung vereinbaren.